Der Waldbeirat und die Stadtverwaltung wollen sich um das zukunftweisende Naturland-Zertifikat bemühen.
Von Torsten Ströbele, Stuttgarter Zeitung vom 20.1.23
Wenn es um die Zukunft des Stuttgarter Stadtwalds geht, kann es mitunter zu heftigen Diskussionen zwischen Bürgern, Lokalpolitikern und Stadtverwaltung kommen. In der jüngsten Sitzung des Waldbeirats herrschte allerdings Harmonie pur. Der Vorschlag, sich von Naturland, dem Verband für ökologischen Landbau, zertifizieren zu lassen, stieß bei fast allen Mitgliedern auf Wohlgefallen.
„Ein tolles Ergebnis“, lobte die Leiterin Stadtwald und untere Forstbehörde, Claudia Kenntner, die Mitglieder des Gremiums nach ihren Stellungnahmen. „Das ist eine wichtige Botschaft, die wir nach außen senden.“ Nur AfD-Stadtrat Frank Ebel wollte den eingeschlagenen Weg nicht mitgehen.
Ein Zertifikat von Naturland zu bekommen ist nicht selbstverständlich. Wer eines möchte, der muss sich an deren Richtlinien zur ökologischen Waldnutzung halten, die 1995 gemeinsam mit den Umweltverbänden BUND, Greenpeace und Robin Wood entwickelt wurden „um eine glaubwürdige Ökozertifizierung von Waldbetrieben zu gewährleisten“, wie es auf der Internetseite von Naturland heißt.
Zur Sitzung des Waldbeirats kam Martin Reinold von Naturland, der die Kriterien genauer vorstellte: Der Verband fordert naturnahe Wälder, beispielsweise durch natürliche Waldverjüngung, gegebenenfalls durch gezielte Pflanzung heimischer, den lokalen Umweltfaktoren angepasste Baumarten und durch Verbot der Ausbringung gentechnisch veränderter Pflanzen. Zudem muss auf Kahlschläge und auf den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln verzichtet werden. Auch der Waldboden soll geschützt werden – durch den Verzicht auf Bodenentwässerung, Bodenbearbeitung und flächiges Befahren. Die natürliche Artenvielfalt und alternde sowie abgestorbene Bäume müssen im Wald erhalten bleiben. Zu guter Letzt müssen „unbewirtschaftete Referenzflächen im öffentlichen Waldbesitz zur Gewinnung lokaler Informationen über die natürliche Waldentwicklung“ ausgewiesen werden.
Nur wenige Städte haben bislang das Naturland-Zertifikat erhalten – zum Beispiel München, Düsseldorf, Hannover und Wiesbaden. 53000 Hektar Wald werden in Deutschland nach den Naturland-Richtlinien bewirtschaftet – von insgesamt rund 11,4 Millionen Hektar. Dass der Stuttgarter Stadtwald nun auch dazugehören soll, ist ein klares Statement, wohin der Weg in den nächsten zehn Jahren führen soll.
Konkrete Handlungsoptionen werden zwar erst in einer Beschlussvorlage im Frühjahr präsentiert, aber Forstexperte Bernhard Koch hat sich in den vergangenen Monaten schon intensiv mit den genannten Zielen des Waldbeirats und des Gemeinderats beschäftigt. Der Südbadener hat den Zustand des Stuttgarter Stadtwalds untersucht und erste Ergebnisse im Waldbeirat vorgestellt. An der Fläche habe sich in den vergangenen zehn Jahren nichts verändert. Es handle sich weiterhin um rund 2500 Hektar Stadtwald. Der zweitgrößte Eigentümer ist das Land Baden-Württemberg, dem etwa 41 Prozent der insgesamt 5000 Hektar großen Waldfläche in Stuttgart gehören. „Sie wollen den Stadtwald fit machen für eine ungewisse Zukunft“, sagte Koch in Richtung der Waldbeiräte. Klimakrisenresilienz stünde dabei ganz weit oben auf der Agenda. In den Hintergrund solle dagegen die Holzbereitstellung rücken. Wurden im Jahr 2018 noch rund 13000 Kubikmeter Holz im Stadtwald eingeschlagen, waren es 2019 nur noch circa 4800 Kubikmeter. Das lag am Holzernte-Moratorium, das der Gemeinderat erwirkt hat. Seit 2020 wurden nur noch Bäume zur Verkehrssicherung gefällt. 2022 waren das etwa 1700 Kubikmeter Holz.
Wie viele Bäume künftig jedes Jahr gefällt werden dürfen, darüber wird noch diskutiert. Zunächst geht es in der nächsten Sitzung des Waldbeirats am Montag, 23. Januar, um das sogenannte Lübecker Modell und die künftige Größe der Versuchsfläche im Stadtwald.