Paradigmenwechsel bei der Behandlung des Stadtwaldes Heidelberg gefordert.
Offener Brief des „Aktionsbündnisses Heidelberger Wald“ zum Tag des Waldes.
Neonrote und neongrüne Leuchtmarkierungen an Buchen, Kiefern, Eichen, Fichten oder Esskastanien zeigen im romantischen Mühltal oberhalb des Turnerbrunnens die Planungen des Forstamtes auf. Förster wittern aufgrund steigender Laubholzerlöse einen kurzfristigen Ertrag und selbst die lokalen Ableger der Umweltverbände NABU und BUND sowie die Jägerschaft attestieren den geplanten Forstarbeiten eine ökologische Sinnhaftigkeit. Damit stehen sie ganz im Widerspruch zu ihren Dachverbänden auf Landes- und Bundesebene und zu Erkenntnissen aus der waldökologischen Forschung.
Die zunächst geplanten und dann verschobenen Holzerntemaßnahmen dienen keinesfalls einer ökologischen Zielsetzung und sind schon gar nicht an den Bedürfnissen der hier lebenden Menschen orientiert. Die bereits durchgeführten Fällungen sollten alleine der Wegesicherung dienen, weil es sich angeblich um kranke oder umsturzgefährdete Bäume handelte. Die Bürgerinitiative Waldwende Jetzt, die Regionalgruppe Greenpeace und eine steigende Anzahl besorgter BürgerInnen aus Heidelberg und dem unterhalb des Waldes liegenden Handschuhsheim haben ein „Aktionsbündnis Handschuhsheimer Wald“ mit dem Ziel gegründet, die künftige Behandlung des Stadtwaldes den neuen Herausforderungen in Zusammenhang mit dem Klimawandel anzupassen. Volker Ziesling, Sprecher der Bürgerinitiative Waldwende Jetzt, Diplom-Forstwirt und Forstwissenschaftler mit langen Erfahrungen im Umgang mit Wäldern vor dem Hintergrund des Klimawandels, sieht die geplanten Forstarbeiten bei veränderten Klimabedingungen als hochriskant an.
Aus den geheimnisvollen Zeichnungen an den Bäumen lässt sich vor allem eines ableiten: Es werden auf jedem Hektar Wald etwa 60 Festmeter Holz entnommen. Die gesamte Hiebsmaßnahme wird ein Holzaufkommen von deutlich über 1.000 Festmeter Holz bringen. Dies entspricht etwa 35 randvoll geladenen Holz-LKWs, die aus dem Mühltal abtransportiert werden sollen. Mit etwas Glück bleibt für den Forsthaushalt der Stadt eine „schwarze Null“ übrig, die schnell wieder in rote Zahlen fällt, wenn die Kollateralschäden der Baumfällungen wie zerfahrene Waldwege anschließend wieder in Stand gesetzt werden. Wirtschaftlich gesehen ist die Maßnahme ein steuerfinanziertes Debakel.
Deutlich schlimmer wiegen die Kosten durch Schäden am Ökosystem. Das Kronendach an den teils nach Süden exponierten Hängen des vorderen Odenwaldes mit ganztägiger Sonneneinstrahlung wird durch den Einschlag und die zusätzlich anzulegenden Maschinenwege massiv gestört. Erbarmungslos wird in Hitzeperioden die Sonne dem ohnehin ausgetrockneten Oberboden die letzten Wasserreserven abringen. Die Verdunstung der verbleibenden Bäume wird steigen, ohne dass ein Wassernachschub möglich sein wird. In der Folge vertrocknen die verbliebenen Bäume, die empfindliche Rinde der Buche erleidet Sonnenbrand und die Bäume sterben schnell ab. Ein intakter Wald ist so dicht, dass er ein Waldinnenklima entwickelt hat, welches unterhalb eines geschlossenen Daches der Baumkronen zirkuliert. Bereits in der Vergangenheit wurde durch forstliche Eingriffe und die Entnahme von Biomasse dieses Waldinnenklima geschädigt. Der in Resten vorhandene Schutzschirm würde durch die Planungen des Forstamtes unwiederbringlich zerstört werden. Der Wald braucht stattdessen eine mindestens 20-jährige Hiebsruhe, um dieses System der internen Wasserzirkulation wieder zu entwickeln.
Warum also tun Forstleute so etwas? Sind es Abhängigkeiten von der Sägeindustrie oder alte Gewohnheiten, die es zu bewahren gilt? Maßnahmen, die noch vor 5 Jahren akzeptabel erschienen, sind es nun nicht mehr. Die Herausforderungen und Wachstumsfaktoren des Waldes haben sich in kürzester Zeit radikal verändert und das sollten auch die Männer in Grün sowie unsere politischen EntscheidungsträgerInnen zur Kenntnis nehmen. Die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels bei der Behandlung des Waldes ist akut, wir können also nicht mehr sehr lange warten die Weichen neu zu stellen. Wir können uns nicht entscheiden, ob wir einen Wirtschaftswald oder einen Naturwald wollen, die Entscheidung läuft zwischen Wald oder kein Wald!
Noch eine Besonderheit gilt es zu berücksichtigen: Das kühle Mühltal mit seinen ober- und unterirdischen Wasserströmen aus dem Odenwald ist ein ausgesprochener Segen für die Stadt Heidelberg und die Oberrheinebene. Die Region ist ein Hotspot des Klimawandels. Kaum irgendwo sonst sind bereits jetzt die Durchschnittstemperaturen so drastisch angestiegen wie in Heidelberg und Umgebung. Kaum irgendwo sonst sind die Böden im Hauptwurzelhorizont in etwa 2 Meter Tiefe so ausgetrocknet wie in der Oberrheinebene. In dieser belasteten Umgebung fallen kühle Winde direkt in die Innenstadt hinein und erlauben ein Leben in der aufgeheizten Innenstadt. Während der jährlich wiederkehrenden Heißzeiten bestehen Temperaturdifferenzen zwischen Wald und dem Innenstadtbereich von bis zu 8 Grad Celsius.
Nein, liebe politischen Entscheider in Heidelberg, liebe Förster, liebe Jäger und liebe Naturschutzverbände, wir müssen eine andere Diskussion führen. Lasst uns zunächst einmal ausarbeiten, welche Erwartungen wir an den Wald haben. Es geht um mehr als das ungestörte Jagderlebnis eines Jagdpächters oder die Försterpflicht, möglichst viel Holz einzuschlagen. Die ökologischen Herausforderungen der Menschheit haben sich verschärft und sind plötzlich auch vor Ort spürbar. Sie heißen lokaler Klimaschutz, Kohlenstoffbindung, Schutz der Biodiversität und Schutz unserer knapper werdenden Trinkwasserreserven. Es zeugt von einem seltsamen Menschenbild, wenn Naturschutzverbände die „wachsende Zahl an Erholungssuchenden als das größte Problem des Waldes“ bezeichnen. Der Stadtwald gehört den Bürgerinnen und Bürgern Heidelbergs und die dürfen sich selbstverständlich in ihrem Wald aufhalten und tun dies allem Anschein nach überwiegend mit dem notwendigen Respekt. Es geht nicht länger um singuläre Einzelinteressen oder die Gewinnung von Holz, es geht ums Ganze. Es geht darum, den Wald mit all seinen Leistungen zum Wohl der Allgemeinheit, als Frischluftspender, als Ort der Gesundung und der Entspannung, als Wasserspeicher, als Kohlenstoffspeicher, als lokalen Klimaschutz und als Erosionsschutz zu erhalten.
Wir bieten allen politischen EntscheidungsträgerInnen, allen BürgerInnen von Heidelberg, allen ForstbeamtInnen und allen Interessensgruppen den Dialog an und erläutern die neuen Herausforderungen sehr gerne auch im lauschigen Mühltal, sobald es die Pandemielage wieder erlaubt.
Ansprechpartner:
Peter Trietsch, Heidrun Schlechter, Barbara Roy, Volker Ziesling, Ludwig Haßlinger
Informationen unter: www.waldwende-heidelberg.de oder http://www.blue-wing-pictures.com