„Die nächste Trockenperiode kommt“
Forstwissenschaftler Volker Ziesling vom „Aktionsbündnis Heidelberger Wald“ findet die geplanten Forstarbeiten im Mühltal falsch. Sie würden das Waldinnenklima zerstören.
Von Sarah Hinney.
Das „Aktionsbündnis Heidelberger Wald“ hat sich formiert und gibt dem bis dato unorganisierten Protest gegen die geplanten Baumfällarbeiten im Mühltal oberhalb Handschuhsheims ein Gesicht. Volker Ziesling ist Sprecher der Bürgerinitiative „Waldwende Jetzt“, Diplom-Forstwirt und Forstwissenschaftler. Der 62-Jährige lebt in Speyer und hat sich beruflich mit dem Thema Wälder im Klimawandel auseinandergesetzt.
Er dient zahlreichen Bürgerinitiativen als Berater und Experte – jetzt engagiert er sich neben Greenpeace, der Klimaliste sowie Bürgerinnen und Bürgern im Heidelberger Aktionsbündnis. Im RNZ-Gespräch spricht Ziesling über die Ziele der Initiative und erklärt, warum er die Forstarbeiten für falsch hält.
Herr Ziesling, was wollen Sie mit dem Aktionsbündnis konkret erreichen?
Zunächst möchten wir die aktuelle Hiebmaßnahme stoppen. Darüber hinaus stellen wir grundsätzlich die Frage, wie wir mit dem Stadtwald vor dem Hintergrund des Klimawandels umgehen wollen. Es herrschen völlig neue Voraussetzungen als vor einigen Jahren. Unsere Herausforderung sind der Klimawandel, die Biodiversität und die Verknappung des Grundwassers.
Diese Herausforderungen sehen die Naturschutzverbände auch. Trotzdem stehen Nabu, BUND und andere hinter dem Forstamt der Stadt, befürworten die Maßnahme und sind – anders als Sie – der Meinung, dass eine Durchforstung ökologisch sinnvoll ist und die Biodiversität im Wald fördert. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?
Ich weiß nicht, woher die lokalen Verbände in Heidelberg diese Einstellung haben. Nabu und BUND auf Landesebene haben eine völlig andere Position dazu. Ich kann das deshalb nicht nachvollziehen. Möglicherweise sehen die Naturschutzverbände hier eher die Einzelmaßnahmen und nicht das große Ganze.
Auch das Forstamt sagt, dass die Baumfällungen dem Wald mehr nutzen als schaden. Die Argumente sind: Mehr Licht erreiche den Boden, Bäume könnten sich besser entwickeln und besser wachsen, wenn sie nicht so dicht stünden.
Die Argumentation ist mir bekannt. Redlicher wäre es, wenn das Forstamt offen sagen würde, dass es den Rohstoff Holz verkaufen will. Das Problem ist, dass sich die Standortfaktoren verändern. Was der Wald vor fünf Jahren wegstecken konnte, kann er jetzt nicht mehr verkraften. Weniger Niederschläge, extreme Dürre – gerade in Heidelberg. Das sind bereits jetzt große Probleme. Wenn ich das Waldinnenklima zerstöre, indem ich mehr Licht auf den Boden lasse, erhöhe ich die Verdunstung noch und der Wasserkreislauf wird unterbrochen. Das sind aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse. Das Forstamt irrt, wenn es sagt, wenn ich Bäume raushole, entziehe ich dem Wald Säufer, weil jeder Baum Wasser verbraucht. Es hört sich plausibel an, aber wenn ich das Kronendach öffne und die Sonne reinstrahlen kann, haben beispielsweise Moose und Farne keine Chance mehr. Die sind aber wichtig für ein intaktes Wasserkreislaufsystem.
Auch hier steht Ihre Argumentation im Widerspruch zu der Überzeugung der Naturschutzverbände. Letztere bezweifeln, dass das Fällen der Bäume Auswirkungen auf die hydrologischen Verhältnisse im Mühltal hat.
Die lokalen Vertreter sind oft Leute, die nicht das gesamte System im Blick haben, sondern nur einen Aspekt. Eine bestimmte Art, die es zu schützen gilt beispielsweise. Das ist eine ehrenwerte Arbeit, aber es entspricht nicht mehr der Linie, die moderner Naturschutz vertritt. Die Bundesvertreter der Verbände haben das erkannt. Deshalb sprechen wir auch von Systemschutz. Der eben angesprochene Wasserkreislauf ist ja nur ein wichtiger Kreislauf. Mindestens genauso wichtig ist der Nährstoffkreislauf, und es gibt weitaus mehr. Wenn man das ganze System betrachtet, sind die Wirkungskreisläufe so komplex, dass wir das gar nicht erfassen können. Deshalb steht hinter dem Systemschutz die Idee der Selbstregulierung. Auch in der Natur fällt mal ein Baum um. Aber in der Natur wird nicht ein Hang komplett ausgelichtet.
Sie sprechen über den Wald, die Naturschutzverbände aber vielfach über Biotopschutz und die Wiesen. Werden hier vielleicht unterschiedliche Dinge vermischt?
Ja, das Gefühl habe ich. Die Naturschutzverbände haben beispielsweise die Fischteiche im Blick, die heute Biotope sind. Die Oberhänge haben aber gar keine Kleingewässer. Und um die geht es. Dort sollen 1600 Bäume gefällt werden. Es geht nicht um ein, zwei Fichten, die zu dicht am Biotop wachsen. Ich habe das Gefühl, das Forstamt hat die Verbände instrumentalisiert, indem es ihren persönlichen Wünschen nachkommt.
Aber Sie können nicht leugnen, dass Naturschutzverbände, Forstamt und die breite Mehrheit im Bezirksbeirat Handschuhsheim für die Forstmaßnahme sind. Also sehr viele Menschen. Wie viele Menschen sind denn aktuell Teil Ihres Aktionsbündnisses?
Etwa 15 Personen, aber wir bekommen täglich Mails. Potenziell glaube ich, dass wir einige Hundert Menschen zusammenbekommen werden. Der Anfang einer Entwicklung wird immer von wenigen getrieben, die die Arbeit tun. Im Moment ist das Problem eher, die alle unter einen Hut zu bringen. Corona macht die Situation schwierig. Wir hoffen, dass wir in wenigen Wochen eine Begehung im Wald machen können. Ich bin auch gern bereit, mit dem Forstamt und städtischen Entscheidungsträgern zu sprechen.
Aber was ist, wenn Ihnen von den Entscheidungsträgern niemand zuhört?
Es ist ein mühsamer Prozess. Man weiß nie, wie so ein Kampf ausgeht. Aber das heißt ja nicht, dass man den Kopf in den Sand stecken soll. Die fachlichen Argumente sind auf unserer Seite. Im Moment ist es kühl und nass, aber die nächste Trockenperiode kommt. Wir können doch nicht so tun, als wäre das kein Problem. Unser Ziel ist, die Bevölkerung aufzuklären. Unsere Zielkaskaden sind: lokaler Klimaschutz, Grundwasserschutz, Biodiversität, Erholung. Ganz am Ende steht die Holzproduktion.
Sind die Forstarbeiten vielleicht auch deshalb so in den Fokus gerückt, weil wegen Corona so viele Menschen in den Wald gehen?
Zum Teil sicherlich. Corona bringt uns derzeit viele Einschnitte. Die Klimakrise wird uns aber noch mehr Einschnitte bringen, insofern ist Corona eine kleine Übungsstunde für das, was auf uns zukommt. Und wir könnten doch einfach sagen: Im Kommunalwald fangen wird an, dort lassen wir die natürlichen Prozesse geschehen, ohne dass wir eingreifen.